Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" widmete sich im Juni 2013 dem Thema Rechtschreibung. Auf dem Titelbild las sich das so: "Die Rechtschreipkaterstrofe"
Aber ist das wirklich so? Schreiben unsere Kinder heute schlechter als früher? Und wenn ja, woran liegt das?
In einer aktuellen bundesweiten Langzeitstudie wurde von dem Siegener Germanistikprofessor Wolfgang Steinig und seinen Mitarbeitern die Schreibfähigkeit von Viertklässlern über einen Zeitraum von 40 Jahren beobachtet und untersucht. Dabei kam heraus, dass Schüler Texte heute lebendiger schreiben als vor 40 Jahren und sich der Wortschatz vergrößert hat. Leider kam dabei aber auch heraus, dass die Rechtschreibkompetenz und die Fähigkeit sich grammatisch korrekt auszudrücken, abgenommen hat.
Sieht man sich den boomenden Nachhilfe- und Fördermarkt an, so ist dies wohl in der Tat nicht zu leugnen.
Im Zuge des o.g. Spiegelartikels erhält das Thema Rechtschreibung zurzeit eine erhöhte mediale aber auch politische Aufmerksamkeit. Das ist zunächst einmal zu begrüßen. Ich beobachte jedoch, dass sehr schnell eine mögliche Ursache fokussiert wurde:
Die Methode: Spracherfahrungsansatz - Lesen durch Schreiben - Methode Reichen
Dies sind nur einige Schlagworte. Ich gebe offen zu, ich bin auch kein Fan der oben genannten Methoden (zumindest nicht, wenn es um den Orthographieerwerb geht). Jedoch greift es meiner Meinung nach zu kurz, wenn dieser Methodenansatz als der einzige Übeltäter hingestellt wird. Daher habe ich einfach mal stichpunktartig aufgelistet, was ich für die Ursachen der "Rechtschreibkatastrophe" halte (subjektiv - und kein Anspruch auf Vollständigkeit). Dass nicht bei jedem Schüler, der Probleme mit der Rechtschreibung hat, alle Ursachen zutreffen, versteht sich von selbst.
- Sprachentwicklung
Zu viele Kinder sind sprachentwicklungsverzögert. Die schriftsprachliche Entwicklung kann nicht losgelöst von der gesamtsprachlichen Entwicklung betrachtet werden.
Ursachen: angeboren-genetisch, familiäres und gesellschaftliches Umfeld, Hörprobleme (z.B. durch Mittelohrentzündungen), Reizüberflutung und massiver Medienkonsum, Mangel an sprachlichen Vorbildern
- Gesamtentwicklung
Immer mehr Kindern fehlen die Basics zum Lernen, wenn sie eingeschult werden. Hierzu gehören, neben der Sprachentwicklung auch die emotionale Reife und die Fähigkeit sich zu konzentrieren. Ursachen: ähnlich wie bei der Sprachentwicklung
- Teilleistungsstörungen - Integration in den Schulalltag
Legasthenie, AVWS, Dyskalkulie, ADHS etc. - hier gibt es noch viel zu tun. Viele Schulen leisten hier schon im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Menge, leider gibt es aber auch immer noch Schulen, die sich diesen Themen verweigern. Warum? Vielleicht auch, weil sie immer noch zu sehr (politisch) alleine gelassen werden.
- Literatur
Zu vielen Kindern wird zu wenig oder gar nicht vorgelesen. Leider gibt es wirklich Kinder, die erst in der Schule mit Büchern in Kontakt kommen. Das ist viel zu spät.
- Gesellschaftlicher Stellenwert der Rechtschreibung
Im Internet kann man doch sehr gut sehen, welchen gesellschaftlichen Stellenwert die Rechtschreibung heute noch hat. Hier müssen wir uns doch alle mal an der eigenen Nase ziehen.
Zeitungen, Bücher - hier wird beim Lektorat leider auch zu oft gespart.
- Schule
Zu große Klassen, schlechte Akustik in den Klassenräumen
- Lehrplan
Dem Thema Orthographieerwerb wird zu wenig Platz eingeräumt. Hier müssen die Schwerpunkte überarbeitet werden.
- Individuelle Förderung
Der Begriff darf heute nicht fehlen, wenn es um das Thema Bildung geht. Gerade Politiker nehmen ihn gerne in den Mund. In der Realität sieht es jedoch leider oft so aus, dass Lehrer, selbst wenn sie Zusatzausbildungen (z.B. bezüglich Legasthenie und Dyskalkulie) haben, keine Möglichkeiten bekommen, entsprechende Schüler individuell zu fördern (Stichwort: Zeit). Ich befürchte, so wie die Inklusion angegangen wird, wird sich das Problem noch verschärfen (Stichwort: Geld).
- Lehrer
Die Lehrer sind meistens die Buhmänner und -frauen. Faule Nüsse gibt es natürlich überall, aber Lehrer sind eindeutig nicht die Ursache für das Problem.
- Methodenkompetenz
Hier ist eine deutliche Ursache auszumachen. Solange dem Thema Schriftspracherwerb/ Orthographie im Grundschulstudium nicht wesentlich mehr Priorität eingeräumt wird, solange ist jeder Lehrer darauf angewiesen, sich die Methodenkompetenz auf eigenem Weg anzueignen. Schwierig, wenn es nicht mal an jeder Universität, an der Grundschulpädagogik angeboten wird, auch einen Lehrstuhl für Orthographie gibt.
- Zeit - Zeit - Zeit - Zeit
Lesen und Schreiben lernt kaum jemand von alleine. Das sind Techniken, die richtig gebüffelt werden müssen und dafür muss Zeit eingeräumt werden (Lehrplan).
- Ach ja - und dann wären da natürlich auch noch die Methoden selbst
Dazu kann ich nur sagen: Es gibt KEINE Methode, die für jedes Kind geeignet ist (Stichwort: Eierlegende Wollmilchsau). Und die Diskussion, die wir heute mit dem Spracherfahrungsansatz, Methode Reichen etc. haben, den hatten wir auch schon beim Ganzwortansatz, den diversen Fibelmethoden etc. Jede Methode hat Stärken und Schwächen. Ja, und auch die aktuelle Methode hat Schwächen bzw. faustdicke Fehler. Und hier kommt wieder die Methodenkompetenz ins Spiel. Ein kompetenter Lehrer sieht sich seine Klasse an und wählt dann die Methoden, die er braucht (man beachte den Plural). Es geht nicht darum, einer Methode von a bis z blind zu folgen. Ein kompetenter Lehrer nimmt das, was gut ist und erkennt, was falsch ist.
Nichts anderes mache ich übrigens auch als Therapeutin.
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